1900 – 1914

Die Gründerjahre

Die Lage in den Ländern der Wenzelskrone und in Wien – die ersten katholischen Verbindungen
Dem um die Jahrhundertwende aus den deutschsprachigen Gebieten Böhmens, Mährens und Schlesiens nach Wien reisenden katholischen Studenten fiel der Abschied von der Heimat sicher schwer, wenn er auch diese Heimat im Bewußtsein des starken Zwistes, der in ihr zwischen den Volksgruppen herrschte, Kohlmarkt.

Die Frage der offiziellen Sprache des Unterrichts und der Verwaltung war zum Vehikel der aufeinanderprallenden Nationalismen geworden, deren prominentesten Gestalten der „Alldeutsche“ Georg von Schönerer (1842 – 1921) und der Reichsratabgeordnete Dr. Karel Kramár, Führer der „Jungtschechen“, darstellten. Als der Ministerpräsident Kasimir Graf Badeni im April und Juli 1897 durch zwei Verordnungen die parallele Verwendung des Deutschen und Tschechischen in allen Behörden der Länder der Wenzelskrone festschreiben wollte, kam es zu einem Sturm der Entrüstung der deutschen Beamten, die kaum über die nun notwendigen Kenntnisse der Zweitsprache verfügten. Im Abgeordnetenhaus in Wien brachen Tumulte aus, in Wien und Graz demonstrierten Tausende gegen die Regierung. In den böhmischen Städten eskalierte die Gewalt, während den „Prager Schreckenstage“ vom 29. 11. bis 2. 12. 1897 wurden in der Goldenen Stadt 40 Menschen getötet. Schließlich mußten die Verordnungen zurückgenommen werden und Badeni zurücktreten.

Die deutschnationalen Ideen Schönerers fanden, obwohl die in sich zerstrittenen Alldeutschen nie mehr als fünf Prozent der Sitze im Reichsrat erringen konnten, vor allem bei der niederen und mittleren Bürokratie sowie der gebildeten Mittelschicht der „sudetendeutschen“* Städte Anklang; mit diesem Gedankengut ging neben dem Antisemitismus auch Antikatholizismus einher („Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Alldeutschlands Dom“); der Katholizismus galt (im Gegensatz zum Protestantismus) als „undeutsch“; nicht nur wirkte die katholische Kirche über alle Nationalitätengrenzen hinweg, sie erhielt auch ihre „Weisungen“ vom jenseits der Alpen (von den Gegnern als „Ultramontanismus“ bezeichnet) weilenden Heiligen Vater, dem im ersten vatikanischen Konzil sogar Unfehlbarkeit in gewissen Fragen zugebilligt worden war. Dies war den ein unabhängiges, „deutsches“ Christentum propagierenden Deutschnationalen ein Dorn im Auge.

Kam der katholische Student aus den Sudetenländern nun nach Wien, mußte er aber auch dort seines Glaubens wegen so manche Unbill erleiden. Auf den von liberalen Kreisen beherrschten Wiener Hochschulen sah er sich einem „freisinnigen“ Antiklerikalismus (der sich aber oftmals mit dem „Los von Rom“ der Deutschradikalen verband) gegenüber, der den „wissenschaftsschädigenden“ Katholizismus von den Universitäten fernhalten wollte.

Mit diesen Ressentiments hatten vor allem die neu enstandenen katholischen Studentenverbindungen, in denen sich die katholischen Studierenden als Reaktion auf diese Anfeindungen zusammenschlossen, zu kämpfen; auf studentischer Ebene erwuchsen ihnen in den schlagenden Korporationen, den eng mit den Liberalen verbundenen Corps und den stark vom großdeutschen Gedankengut beeinflußten Burschenschaften, übermächtige Gegner.

Die ersten katholische Verbindung entstand mit dem Schweizer Studentenverband* 1841. in Deutschland wurden 1844 die Bavaria Bonn und 1851 die Aenania München gegründet; weitere Verbindungen folgten, die sich allmählich im sogenannten Cartellverband (CV)* zusammenfanden.

1864 wurde die Austria in Innsbruck, wo der Einfluß der Nationalfreiheitlichen an der Hochschule geringer war, als älteste katholische österreichische Studentenverbindung gegründet, die bald in ein Cartellverhältnis mit der Aenania München eintrat. In Wien konstituierte sich 1876 der „Katholisch-gesellige Studentenverein der Wiener Hochschulen, der ab 1880 ebenfalls den Namen Austria* trug und sich zu einer farbentragenden Korporation entwickelte. Einige Austern, denen diese Entwicklung zu langsam vor sich ging, gründeten 1883 die Verbindung Norica*.

Austria Wien und Norica blieben nun für längere Zeit die einzigen Wiener Verbindungen; bald sahen sie sich den Angriffen der schlagenden Verbindungen ausgesetzt. Vordergründig wollten man ihnen das Aufzugsrecht mit „Schläger“*, den die katholischen Verbindungen lediglich als Symbol der akademischen Freiheit ansahen, streitig machen, da sie das Austragen von Duell* und Mensur* aus religiösen Gründen ablehnten. Später stellten man ihnen das Recht des Farbentragens und schließlich der Existenz überhaupt in Abrede. Dahinter stand nicht nur die Angst vor neuer Konkurrenz auf Korporationsboden; in den katholischen Verbindungen sah man die hochschulpolitischen Ableger des politischen Katholizismus, der in Gestalt der Christlich – Sozialen Partei zusehends an Boden gewann, während die Position der Liberalen und Deutschnationalen im Reichsrat ständig schwächer wurde. Ein Übergreifen dieser Tendenzen auf die Universität sollte um jeden Preis verhindert werden; viele Professoren sympathisierten in dieser Hinsicht mit den Corps und Burschenschaften.

Schon 1884 kam es in der Aula der Universität zu ersten Ausschreitungen gegen die Norica während des Bummels* ; ersten Höhepunkt bildete die „Austrierschlacht“ am 26. 10. 1889, als sich 18 Noriker und 35 Austern 600 – 800 Schlagenden gegenübersahen. Ein stärkeres Zusammenrücken der katholischen Verbindungen schien notwendig; aber während die Norica 1884 dem CV beitrat, versuchte die Austria, einen innerösterreichischen Verband zu gründen. 1889 schloß sie sich mit der 1886 gegründeten Ferdinandea Prag* zum ersten Österreichischen Cartellverband (ÖCV)* zusammen, 1891 kam die Unitas Czernowitz* hinzu; der Verband zerfiel aber schon 1895 mit dem Wechsel der Ferdinandea zum CV und der Sistierung* der Unitas.

Doch die Anfeindungen der Schlagenden rissen nicht ab; ihre Wut steigerte sich, als die Christlichsozialen bei den Wahlen 1897 die Anzahl ihrer Sitze im Abgeordnetenhaus fast verdoppeln konnten. Die Austria war aber inzwischen stark genug, an die Gründung von Tochterverbindungen zu denken; 1898 hob man die Rudolfina* aus der Taufe. Zusammen mit ihr und der Tirolia Innsbruck gründete die Austria 1899 den zweiten Österreichischen Cartellverband, dem bald weitere Tochterverbindungen hinzugefügt werden sollten.

Von der Gründung Nordgaus bis zum Eintritt in den CV
Auf einem Burschenconvent (BC)* der Austria am 11. Dezember 1899 regte der Alte Herr (AH)* Univ. Prof. Dr. Albert Erhard*, der aus Elsaß – Lothringen, ebenfalls einem zwischen zwei Volksgruppen umstritteten Gebiet, stammte, die Gründung einer Korporation zur Sammlung der katholischen Studenten aus den österreichischen Ländern Böhmen, Mähren und Schlesien, eben den „nördlichen Gauen“ der Donaumonarchie, an. Am 26. März, dem offiziellen Gründungstag* der Verbindung, wurde die „Katholisch – österreichische Landsmannschaft für deutsche Hochschüler aus Böhmen, Mähren und Schlesien „Nordgau“ Wien“ behördlich genehmigt. Als Gründungsburschen hatte die Austria den Medizinstudenten Eduard Millner v/o Lohingrin, phil. Wilhelm Illing v/o Arnulf und iur. Karl Onderliczka v/o Rodenstein abgestellt; als letzterer zur Austria zurückkehrte, stießen iur. Hans Hoffmann von der Mutterverbindung und Josef Fischer v/o Armin (im WS 1900/01) von der Rudolfina zum Nordgau.

Am 25. April 1900 feierten Nordgau und seine Schwesterverbindung Kürnberg*, die als Landsmannschaft für Oberösterreicher und Salzburger von der Austria gegründet worden war, ihren feierlichen Promulgationskommers*. Als die beiden neuen Verbindungen am 7. Mai zum ersten Mal in Farben auf der Universität auftraten (Nordgau mit drei Burschen), kam es zu schweren Krawallen durch die Schlagenden, die eine Woche andauerten und zu einem allgemeinen Farbenverbot durch den akademischen Senat und zum Rücktritt des Rektors Prof. Neumann führten. Gegen diese Angriffe konstituierten sich die katholischen Kräfte Wiens, etwa beim Maifest der Rudolfina und einer Protestversammlung der katholischen Akademiker und christlichen Männer am 16. Mai; doch erst am 1. Dezember konnten Nordgau und Kürnberg ungehindert in Farben aufziehen. Vorher mußte noch Nordgau die Farbe seiner Deckel* von Weiß (das auch eine der Burschenschaften verwendete) auf Gelb ändern.

Am 2. Dezember 1900 konstituierte sich der zweite ÖCV, dem nun Austria Wien, Rudolfina, Tirolia, Nordgau und Kürnberg angehörten, endgültig auf dem Kaiserkommers der Austria. Diese innere Stärkung war auch notwendig angesichts der anhaltenden Attacken der Schlagenden. Im November 1901 etwa begleiteten schwere Kämpfe mit diesen die Fahnenweihe der Rudolfina in der Aula der Universität; am 30.November 1902 folgten schwere Auschreitungen beim Samstagsbummel, bei denen sich die Wut der Burschenschaften über die schweren Verluste der Alldeutschen bei den Landtagswahlen in Niederösterreich Luft machen wollte. Es folgte ein allgemeines Verbot des Aufzugs in Farben.

1903 fühlte sich die Landsmannschaft Nordgau stark genug, in eigener Sache in der Heimat zu werben und hielt im Sommer ein erstes Ferialfest* in Freudenthal in Österreichisch – Schlesien ab; diese Ferialfeste wurden nun bie 1913 jährlich in verschiedenen sudetendeutschen Städten abgehalten. Oft waren sie mit blutigen Angriffen deutsch – radikaler Studierender aus der Umgebung verbunden (ähnliches mußte die Kürnberger in ihrer Heimat erdulden, etwa bei einem Bummel in Linz am 28. 12. 1905), die die Unterstützung der freisinnigen und deutschnationalen Intelligenzschicht der Städte genossen; aber auch Organe des Sozialdemokratischen Partei stimmten in diese Ablehnung mit ein. Nordgau gewann hingegen durch sein beharrliches Auftreten die Sympathien der gläubigen ländlichen Bevölkerung und eröffnete so manchen guten Keilboden*.

Die Vereinigung von ÖCV und CV
In Wien fand Nordgau mit der Bude in der Türkenstraße 4 , IX. Bezirk, im Februar 1905 eine fixe Bleibe. In diesem Jahr standen auch wichtige verbandspolitische Entscheidungen an.

Die Trennung der katholischen Verbindungen in solche des ÖCV und des CV erschien vielen als Ärgernis; im September 1905 propagierte Franz Hobel, AH Nordgaus, neben anderen auf dem Parteitag der Christlichsozialen in Eggenburg die Vereinigung der beiden Organisationen. Auf der fünften Cartellversammlung des ÖCV im Rahmen des fünften Allgemeinen Österreichischen Katholikentages vom 19 – 22. 11. 1905 in Wien wurde der Senior Nordgaus, phil. Emmerich Czermak*, zum Vorortsobmann gewählt. In den nun folgenden Verhandlungen mit dem Cartellverband hatte er eine wichtige Position inne. Am 17. August 1906 wurden die Verbindungen des ÖCV auf der Cartellversammlung in Essen feierlich in den CV aufgenommen. Aus diesem Anlaß wandelte sich die Landsmannschaft Nordgau auch in die „Katholische Deutsche Hochschulverbindung Nordgau Wien“ um, da das Prinzip der landsmannschaftlichen Auschließlichkeit dem Status einer CV – Verbindung widersprach.

Höhepunkt und Bewährung im Konflikt mit den Schlagenden
Diese Vereinigung erwies sich als segensreich, da die Auseinandersetzung mit den Schlagenden ihrem Höhepunkt zusteuerte. Bei den ersten allgemeinen Wahlen zum Reichsrat im Mai 1907 wurden die vereinten Christlichsozialen und Katholisch – Konservativen zur stärksten Fraktion. Die Verbindungen des CV erlebten einen großen Zuwachs an Mitgliedern, mehrere neue Verbindungen wurden gegründet. Dies steigerte den Ärger der deutschnational – freisinnigen Studenten und Professoren maßlos.

Im Sommer konnte Nordgau noch ein glänzendes Ferialfest in Olmütz , dessen Höhepunkt die Weihe der vom AH Prälat Baron Grimmenstein gestifteten Fahne*, als deren Patin Sophie Fürstin Hohenberg, die Gattin des Thronfolgers Franz Ferdinand gewonnen werden konnte, darstellte.

Im Wintersemester 1907/08 entzündete sich dann die Konfrontation am Innsbrucker Kirchenrechtler Ludwig Wahrmund, der öffentlich die katholische Weltanschauung und die katholischen Studenten aufs Ärgste beschimpfte. Es kam zu Protestaktionen der katholischen Studentenschaft, ja sogar des päpstlichen Nuntius gegen Wahrmund; die deutschnationalen demonstrierten hingegen für den umstrittenen Professor. Zu Beginn des Sommersemesters 1908 wurde Wahrmund beurlaubt; daraufhin kam es am 14. Mai zu Krawallen in Innsbruck, die dann auf Wien übergriffen. Im Juni wurde die Universität Innsbruck bei der Rückkehr Wahrmunds behördlich geschlossen; die schlagende Studentenschaft begann darauf einen Generalstreik, der bis zum 23. Juni anhielt. Schließlich wurde Wahrmund nach Prag versetzt.

Das „Wahrmundjahr“ bewies die Standhaftigkeit der katholischen Korporationen; ihre volle Gleichberechtigung auf akademischen Boden war nicht mehr aufzuhalten.

Im WS 1910/11 scheiterte dann auch die letzte große Aktion der Schlagenden, der Versuch, den katholischen Korporationen das Aufzugsrecht an der Tierärztlichen Hochschule streitig zum machen. Im WS 1912 forderte der längst entschiedene Kampf noch einen Blutzeugen aus den Reihen des CV; der junge Medizinstudent Max Ghezze, Mitglied der Raeto – Bavaria Innsbruck, wurde am Abend des 4. 11. 1912 von Mitgliedern des Corps Gothia überfallen und erlag am 6. 11. seinen schweren Kopfverletzungen. Seine Bestattung am 9. 11. wurde zu einer machtvollen Demonstration des CV und des katholischen Österreich wider die Barbarei ihrer Feinde.

Nordgau gedieh in diesen Jahren; trotz der Aufhebung des Landsmannschaftstatus hatten die meisten Bundesbrüder weiterhin ihre Heimat in den sudetendeutschen Gebieten, wohin auch die jährlichen Ferialfeste führten. 1913 erhielt die Verbindung mit den „Nordgau – Mitteilungen“ auch ein regelmäßig erscheinendes Medium, das die Verbundenheit zwischen den Mitgliedern hob.

In diese erste Blüte brach mit den Schüssen von Sarajewo, denen auch die hohe Fahnenpatin Sophie Fürstin Hohenberg zum Opfer fiel, der Erste Weltkrieg herein.

weiter mit 1914 bis 1933